Auszug, Beginn aktuelles Projekt Theaterstück über gemeinsames Leben in der Großstadt:

 

 

Eine Silberfischgroßfamilie, eine gemeine größere Hausspinne, sowie menschliche Wesen: zwei alte Herren, eine mittelalte Frau, ein junger Mann, Statist*innen – alle aus einem Mehrfamilienhaus

 

 

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Der älteste Silberfisch -immerhin werden sie bis zu acht Jahre alt-:

Jetzt ist hier schon wieder wer Neues eingezogen! Eine Frau. Da lob ich mir doch den alten Nachbarn, der wohnt schon seit vierundfünfzig Jahren hier. Da ist noch Verlass drauf! Die scheuchen uns doch immer wieder auf bei jedem Aus- und Einzug. Aber vielleicht schafft sie ja sogar eine schönere Umgebung für uns. Wärmer, feuchter, gern auch Krümel, Bücher auch. Der letzte hatte nur so nervige Atlanten und Geschichtsbücher, interessiert mich nicht. Ich will lieber Hustvedt, Parker, meinetwegen auch Rilke. Und meine Kinder sollen auch eine ordentliche Schulbildung, rundum, genießen. Ich schätze, hier geht das, sieht nach Germanistinnen-Haushalt aus. Jetzt reißt sie allerdings erstmal die Küchenmöbel raus und kleistert alles zu. Müssen wir wieder durchs ganze Haus kriechen.

 

 

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Der eine alte Mann -der Eingeklappte-:

Hier ziehen alle immer so schnell aus. Die beiden jüngeren Herren vor der neuen Mieterin waren jeweils nur knapp zwei Jahre da. Ich wohne hier schon mehr als mein halbes Leben! Schon 54 Jahre. Ich bin jetzt 86. Mir ist das zu viel Wechsel. Aber früher sah es hier auch ganz anders aus. Jetzt ist es viel schäbiger. Aber die Wohnung ist günstig, warm, ich habe mich auf den 35 Quadratmetern gut eingelebt.

 

 

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Silberfischfrau:

Die putzt nicht viel.

Silberfischmann:

Fantastisch.

Silberfischfrau:

Der Winter kann kommen. Wir werden satt. Die Kinder können sich austoben.

Silberfischmann:

Und hat sie schon ihre Bücher ausgepackt?

Silberfischfrau:

Keine Ahnung.

Silberfischmann seufzt.

 

 

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Der junge Mann:

Ich weiß immer noch nicht, was ich nach dem Studium machen soll. Ich hatte mir das alles anders vorgestellt. Kurz vor der Corona-Pandemie zum Sportmedizin-Studium nach Köln. Ich dachte, studieren, viele Leute kennenlernen, vielleicht mich auch verlieben, tollen Job bekommen, zusammenziehen, dies das. Jetzt sitze ich hier, kenne immer noch kaum jemanden, das Studium ist fast vorbei. Köln finde ich trostlos.

 

 

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Der andere alte Mann -der Wunsch-Cowboy-:

Hier ist zu wenig los. Ich hoffe, dass die neue Mieterin mal auf Kaffee und Kuchen, oder noch besser n Schnaps, vorbeikommt.

 

 

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Im Aufzug.

Die mittelalte Frau:

Hallo

Der Eingeklappte:

Ja. Hallo.

Die mittelalte Frau:

Wie geht es Ihnen?

Der Eingeklappte:

Ich wohne ja schon 54 Jahre hier.

Die mittelalte Frau (kokett, und etwas lauter):

Ach was, sie sind doch erst 60.

Der Eingeklappte:

Ich bin schon 86! Ich kann Ihnen Geschichten erzählen!

Die Türen gehen auf.

 

 

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Ein junger, abenteuerlustiger Silberfisch:

Dieses Notizheft hat sie schon ein paar Male mitgenommen. Ich werde mich da jetzt reinlegen. Dann nimmt sie mich mit! Mal sehen, wohin! Sie sieht nett aus. Sie hat keinen regelmäßigen Job. Was sie wohl macht?

 

 

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Die gemeine größere Hausspinne kommt zu Besuch:

Silberfischmann:

Maurice, was machst du hier?

Hausspinne:

Mir ist kalt.

Silberfischfrau:

Ja, da können wir dir jetzt auch nicht direkt weiterhelfen.

Hausspinne (etwas stolz, da sie seit Jahren in Büchern lebt):

Ihr wisst schon, dass ihr lediglich ob meiner Großzügigkeit hier so viele Jahre weilt?

Silberfischmann:

Ach komm, du bist doch auch froh, dass du die anderen Spinnen nicht hier hast, du alter Einzelgänger. Und dir ist es peinlich, dass du vegetarisch unterwegs bist. Was ein Quatsch sowieso, dass dir das peinlich ist!

 

(Hausspinne setzt zu melancholischem Gesang an):

Niemand auf der Welt versteht mich

Gefangen in diesem falschen Körper

Alle anderen Spinnen sind so widerlich

Am liebsten hätte ich nur Wörter

 

Eine wunderschöne Welt,

in der Körper nicht zählen!

Acht Arme und Beine, oder Geld,

(holt aus und wird richtig laut und emotional)

oder nur je zwei, und einfach stehlen,

aber

(wird jäh vom Silberfischmann unterbrochen):

 

Silberfischmann:

Maurice! Ich habe den Schlüssel im Schloss gehört, du musst dich verstecken!

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© Britta Tekotte